Die Online-Schülerzeitung der IGS Aurich-West


Donnerstag, 6. November 2008

Kommentar zum Wahlgewinn Obamas



Für einen angekündigten Messias bleibt der Mann erstaunlich nüchtern: Da haben die Amerikaner den ersten schwarzen US-Präsidenten gewählt, da hat einer die beiden mächtigsten politischen Maschinen der USA - die Clintons und die konservative Rechte - hintereinander besiegt und einen schier endlosen Wahlkampf für sich entschieden. Und dann stellt Barack Obama sich einfach hin und schaut mit kühlem, etwas distanziertem Blick auf die vor ihm feiernde Menge. Keine Jubelschreie, keine Extravaganzen. Die Zurückhaltung entspricht dem Ernst der Lage. Denn Obama übernimmt das Land in einer wirtschaftlichen Situation, die so schlecht ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Seit den 30er-Jahren hatte wohl kein US-Präsident mehr eine derart schwere Ausgangsposition. Der amerikanische Finanzsektor steht unter Schock, der Immobilienmarkt liegt am Boden, und Millionen von Haushalten sind überschuldet. Zugleich stehen die maroden Autobauer des Landes vor dem Zusammenbruch, Hunderttausende von Jobs sind bedroht oder gehen bereits verloren. Infrastruktur, Gesundheitswesen und Bildungssektor sind für eine Industrienation in einem beschämenden Zustand. Die Ära Obama beginnt mit einer Rezession. Für Euphorie zum Amtsantritt gibt es daher überhaupt keinen Anlass.
So unwirklich dies allerdings in einer solch schlimmen Situation klingen mag: Gerade in der Tiefe der amerikanischen Wirtschaftskrise liegt auch die große Chance Obamas. Anders als Vorgänger George W. Bush, der das Land vor acht Jahren mit einem satten Haushaltsüberschuss übernahm und eigentlich nur vor der Frage stand, wie er das Geld verteilen sollte, ist Obama gezwungen, wirklich zu handeln. Nach einem für die USA schicksalhaften Jahr kann es fast nur noch aufwärts gehen. Wenn es dem neuen Präsidenten gelingt, die US-Wirtschaft mit Konjunkturspritzen vor dem schlimmsten Absturz zu bewahren, könnte er bald als Retter dastehen - mit einem kräftigen Mandat für nachfolgende Strukturreformen. Pläne für eine Umstellung auf erneuerbare Energien, eine echte Gesundheitsreform und bessere Bildung wären nicht utopisch. Die Voraussetzungen für einen Neustart sind gar nicht schlecht. Obama kann sich auf deutliche Mehrheiten seiner Partei in Senat und Repräsentantenhaus stützen. Und der Wunsch nach Veränderung ist nach acht Jahren Bush bei der Bevölkerung so groß, dass ein schwarzer Präsident erstmalig möglich wurde. Man könnte sagen, dass dies auch wohl der größte Verdienst von Georege Walker Bush ist.
Hinzu kommt, dass zwei große Ungleichgewichte der US-Wirtschaft bereits beseitigt sind: Der überproportional große Anteil der Finanzwirtschaft an den Unternehmensgewinnen hat sich mit dem Ende der Investmentbanken erledigt. Und die Blase auf dem Häusermarkt, die zur Grundlage eines nicht durch Einkommen gedeckten Konsums wurde, ist geplatzt. Beides sind schmerzhafte Einschnitte, die jedoch auch zur Grundlage einer Gesundung werden können. Von entscheidender Bedeutung wird sein, ob das nächste Konjunkturpaket wirkt. Immerhin hat der kommende Präsident ohnehin ein Wirtschaftsprogramm, das sich gut auf diese Herausforderung zuschneiden lässt. Obama will den Konsum anheben, neue Brücken, Straßen und Schulen bauen und die Steuerlast senken. All dies wird das Budgetdefizit der USA in Rekordhöhen treiben. Allerdings dürfte ein tiefer Absturz mit weg brechenden Steuereinnahmen noch schwerere Auswirkungen haben. Der erste schwarze Präsident der USA wird ein Rezessionspräsident sein. Darin liegt eine gewisse Tragik. Und eine gewaltige Chance.

Steffen Haake